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Einleitung – Perpektivwechsel Low-Code?

„Ein Meilenstein auf dem Weg zum digitalen Staat“ [1]. So betitelt das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung die am 02.04.2023 veröffentlichte Mitteilung zum neu beschlossenen Paket für die digitale Verwaltung. Zentraler Bestandteil dieses Pakets ist eine Änderung des Onlinezugangsgesetzes, wodurch der Weg für „nutzerfreundliche und vollständig digitale Verfahren“ geebnet werden soll [1]. An dieser Stelle muss gefragt werden, wo ein sog. vollständig digitales Verfahren ansetzt und wo es endet. Die bisherigen Digitalisierungsansätze, darunter das OZG oder die Single-Digital-Gateway Verordnung der EU, fokussierten in der Regel den Zugang zu Verwaltungsleistungen, während der Verwaltungsvollzug meist hinter den beworbenen Digitalisierungsbemühungen zurück blieb [2].

Die Frage nach "vollständiger" Digitalisierung erscheint umso dringender, da in den letzten Jahren deutlich wurde, dass der alleinige Fokus auf den Verwaltungszugang die erwartete Nutzer:innenfreundlichkeit hinsichtlich einer schnellen und einfach erbrachten Leistung nicht erfüllen kann. Auf den Antrag mit wenigen Klicks folgt in der Regel weiterhin die gängige, manuell und in papierbasierte Bearbeitung der gewünschten Leistung. Gegebenenfalls wird diese dann wieder digital erbracht. Thomas Brown schreibt hierzu auf dem Portal "Verwaltung der Zukunft" von Ende-zu-Ende mit einer Blackbox dazwischen [3]. Dies hat zur Folge, dass die Effizienzsteigerung und somit der Effekt verkürzter Wartezeiten auf die Leistung ausbleiben und stattdessen ein Mehraufwand und teilweise gar ein Mehrkostenaufwand durch die Überbrückung eines oder mehrerer Medienbrüche entstehen [4].

Der Ansatz einer Ende-zu-Ende-Digitalisierung greift die eingangs genannte Vollständigkeit digitaler Verfahren auf. Er meint die Analyse und elektronische Umsetzung eines Geschäftsverfahrens von der Antragstellung über die Bearbeitung und die dazugehörigen Teilprozesse, inklusive aller Schnittstellen zwischen den beteiligten Akteur:innen, bis hin zur Leistungserbringung. Die gesamte Leistungskette kann somit detailliert anhand der einzelnen Bausteine dargestellt werden, wodurch es möglich wird, herauszufinden, welche spezifischen Tätigkeiten/ Funktionalitäten für die jeweiligen Prozessschritte notwendig sind und in welcher Reihenfolge diese gegeben sein müssen bzw. in welcher Beziehung diese stehen. Erst eine prozessorientierte Perspektive auf den Vollzug ermöglicht es, die vorhandenen und potenziellen Ressourcen auszuschöpfen - respektive Software, Technik, Mensch, Wissen und weiteren [5].

Während die Antragsbearbeitung, also die Arbeit im „Maschinenraum“, bisher durch sogenannte Fachverfahren digital unterstützt wurde, erlebt seit spätestens 2021 das Thema Low-Code besondere Aufmerksamkeit im Rahmen digitaler Verwaltung. Diese flexibel, größtenteils durch vereinfachte Konfiguration gestaltbaren Plattformsysteme versprechen erstens eine schnellere Anpassung an neue Anforderungen, zweitens die Erstellung von individuellen Anwendungen anhand einzelner Softwarebausteine und drittens die aktive Einbindung der Fachlichkeit als Anwendungsentwickler:innen (Citizen Development) [6]. Dadurch scheint zusätzlich eine stärkere Unabhängigkeit von Softwareunternehmen möglich.

Aus diesen Gründen lohnt es, sich intensiver mit dem Ansatz Low-Code/No-Code auseinanderzusetzen und seine Potenziale und Grenzen für den Einsatz in einer digitalisierten Verwaltung genauer herauszuarbeiten. Konkret soll in der vorliegenden Arbeit also gefragt werden:

Inwiefern sind die in der Literatur und von den Softwareherstellern genannten Potenziale von Low-Code-Plattformen auf die Verwaltungspraxis übertragbar? Und inwiefern können Menschen aus der Schbearbeitung als Entwickler:innen in den Gestaltungsprozess von Digitalisierung mit einbezogen werden? Um ein ganzheitliches Bild davon zu bekommen, sollen in der vorliegenden Studie drei wesentliche Aspekte der Integration von und Arbeit mit Low-Code-Plattformen beleuchtet werden:

  • Die praktisch-organisatorische Sichtweise, welche sich die Einführung und Umsetzung von Low-Code-Plattformen ansieht.
  • Die arbeitsorganisatorische Sicht, welche u.a. nach den Auswirkungen der Einführung auf die Aufgaben, Rollenverteilung und Abläufe fragt.
  • Die technische Sicht, welche sich mit der konkreten IT-Architektur, Schnittstellen usw. befasst.

Da bis zur Durchführung der Studie (Herbst 2022/Anfang 2023) nur wenig über den Einsatz von Low-Code-Plattformen in öffentlichen Verwaltungen bekannt ist, dient die vorliegende Studie als erste Annäherung an die Thematik. Als ein Teil des Forschungsprojekts SimpLEX der Arbeitsgruppe OpenDVA der Friedrich-Schiller-Universität Jena soll die explorative Auseinandersetzung zudem eine Vorbereitung für die weitere praxisorientierte Arbeit sein. Ziel ist unter anderem, einen Antragsprozesses von der Antragsstellung bis hin zur Leistungserbringung exemplarisch auf einer Open Source Low-Code-Plattform umzusetzen. Entsprechend fließen erste Überlegungen dazu auch in die vorliegende Studie mit ein, darunter die Auswahlkriterien für eine erste Analyse verschiedener Low-Code-Plattformen sowie der inhaltliche Fokus auf relevante Faktoren innerhalb von Antragsprozessen (z.B. technische Standards, beteiligte Personen, politische Vorgaben).

Die Arbeit beginnt mit einem kurzen Überblick über das methodische Vorgehen inklusive der Reflexion des Studienverlaufs. Daran anschließend sollen die zentralen Themen Low-Code und Citizen Development ausführlich beschrieben und differenziert betrachtet werden. Hierzu zählt auch der Versuch erste theoretische Ableitungen zu treffen, welche vor allem als Analysegrundlage der erhobenen Daten dienen sollen. Dies wird durch allgemeine Erfahrungen und Erkenntnisse über derzeitige Herausforderungen und Anforderungen an öffentliche Verwaltung ergänzt, darunter verschiedene politische Programme zu Digitalisierung und Modernisierung. Anhand dessen werden die erhobenen Daten aus den Interviews und dem Desk Research in den Verwaltungskontext eingeordnet und diskutiert – entsprechend der zuvor aufgemachten Einteilung: technisch, sicherheitstechnisch, praktisch-organisatorisch und arbeitsorganisatorisch.

Quellen

[1]
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, „Ein Meilenstein auf dem Weg zum digitalen Staat“, online, 2023. Online at https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/paket-fuer-digitale-verwaltung-2192618.
[2]
Onlinezugangsgesetz.de, „Das Onlinezugangsgesetz“, onlinezugangsgesetz.de, 2022. Online at https://www.onlinezugangsgesetz.de/Webs/OZG/DE/grundlagen/info-ozg/info-ozg-node.html;jsessionid=2B7F5FC71F954CE988FE6C2F3546834F.1_cid364.
[3]
Brown, T., „Digitalisierung: Ist die öffentliche Verwaltung noch zu retten?“, Online.Verwaltung der Zukunft, Juli 2022. Online at https://www.vdz.org/personalmanagement-new-work/digitalisierung-ist-die-oeffentliche-verwaltung-noch-zu-retten.
[4]
Schuppan, T., „Houston wir haben ein Vollzugsproblem“, SHI-institut.de, o.d. Online at https://shi-institut.de/editorial-houston-wir-haben-ein-vollzugs-problem/.
[5]
Köhl, S. et al., „Stein-Hardenberg 2.0. Architektur einer vernetzten Verwaltung mit E-Government“, 2014.
[6]
Kompetenzzentrum Öffentliche IT, „Low Code“, Online.ÖFIT, November 2020. Online at https://www.oeffentliche-it.de/-/low-code.