(K)eine für Alles (KefA)
Es hat sich gezeigt, dass zunächst eine differenzierte Auseinandersetzung mit den Konzepten Low-Code und Citizen Development an sich notwendig ist, bevor eine Aussage darüber getroffen werden kann, ob und welche Potenziale Low-Code-Plattformen für öffentliche Verwaltungen bereithalten und wo deren Grenzen liegen. Dies geht sogar so weit, dass nicht einmal eine verallgemeinerbare Antwort für alle Low-Code-Plattformen gegeben werden kann. Stattdessen hängt deren Nutzen sowohl vom gewünschten Einsatz, der vorhandenen technischen Infrastruktur und den beteiligten Akteur:innen ab. Vielmehr konnte eine erste Systematisierung von Low-Code-Plattformen auch hinsichtlich der nutzenden Akteur:innen erstellt werden. Mit dem Umfang oder der Komplexität der zu konfigurierende Anwendung, steigen auch die Kompetenzanforderungen an die Entwickler:innen. Parallel dazu muss ein entsprechender Konfigurationsspielraum von der Low-Code-Plattform angeboten werden. Konkret bedeutet dies,
- das konkrete Einsatzgebiet der Low-Code-Plattform und der darauf konfigurierten Anwendungen zu definieren: Geht es lediglich darum, Onlineformulare schnell und einfach anzupassen? Sollen Prozesse digital abgebildet und umgesetzt werden? Handelt es sich dabei um einfache Abläufe wie das Aufgabenmanagement oder eher um eine vielschichtige Antragsbearbeitung? Umfasst die Anwendung auch Infrastrukturen zum Datentransfer oder zur Kommunikation zwischen verschiedenen Akteur:innen?
- zu Fragen, inwiefern das Low-Code-System in die gesamte technische Infrastruktur einer Organisation eingebunden werden soll oder gar über deren Grenzen hinaus anbindbar sein soll (Interoperabilität). Welche Schnittstellen werden vorausgesetzt?
- die zukünftigen Nutzer:innen und Entwickler:innen zu benennen: Ist es die IT-Abteilung oder die Sachbearbeitung, die die Anwendungen Konfigurieren? Gibt es mögliche Konzepte der Zusammenarbeit mit unterschiedlich gelagerten Aufgaben (Citizen Development, Co-Creation, Mutal Development, Professional Development)? Lassen die vorhandenen Ressourcen die verschiedenen Modelle zu?
- in Abhängigkeit der vorausgehenden Fragen und deren Priorisierung zu erörtern, welche Anforderungen hinsichtlich des Programmiermodells (Programming by natural Language etc.) der zu beschaffenden Lösung erfüllt sein soll: intuitiv, fehleranfällig/exakt, skalierbar, flexibel. Hinzu kommt die Frage, ob Zugriff auf den Source-Code gewünscht ist.
Aus den erarbeiteten Ergebnissen im Kontext Ende-zu-Ende-Digitalisierung von Antragsverfahren in öffentlichen Verwaltungen können hinsichtlich der vier genannten Punkte zumindest einige Aussagen getroffen werden. Bereits diese Voraussetzungen schränken die Auswahl der möglichen Low-Code-Systeme auf jene ein, die eine Anbindung an die vorhandene IT-Infrastruktur und damit auch die Datenintegration aus den elektrischen Aktensysteme unterstützen. Besonders hinsichtlich der von der Europäischen Kommission ausgerufenen "Digitalen Dekade", der angestrebten digiitalen Souveränität sowie den Prizipien Once-Only und API-first muss die angestrebte Low-Code-Lösung eine Open Source-Software sein und eine standardisierte Kommunikation via offenen Schnittstellen ermöglichen. Hinzu kommen die vorgegebenen XÖV-Datenstandards sowie die des Föderalen Informationsmanagements (FIM). Antragsprozesse inklusive der dazugehörigen Formulare sollten demnach nicht einfach darstellbar bzw. ausführbar sein, sondern möglichst auf Basis von BPMN 2.0 beziehungsweise im Falle der Formulare als XML-Datei importierbar und nutzbar sein. Dies bezieht sich schließlich auch auf die Prozessorchestrierung. Die demografischen Herausforderungen in öffentlichen Verwaltungen, darunter der Fachkräftemangel, erfordern ein möglichst intuitives Graphical User Interface, so das die Handhabung der Low-Code-Lösung für die Nutzer:innen möglichst einfach gestaltet werden kann. Ein leichter Zugang zu den Low-Code-Systemen bereits während der Konfiguration der Anwendungen würde die rechtliche und organisatorische Prozesshoheit zu Gunsten der Sachbearbeitung verlagern und somit eines der Grundprinzipien des Öffentlichen Sektors stärken. Da in öffentlichen Verwaltungen in der Regel mit sensiblen Daten gearbeitet wird, müssen entsprechend hohe Sicherheitsstandards erfüllt sein. Zur Vermeidung von Fehlern in der Anwendungskonfiguration sowie im Datentransfer ist ein feingranulares Rechte- und Rollensystem unabdingbar, sodass der Handlungsrahmen der Nutzer:innen jeweils ihren expliziten Aufgaben entspricht und nicht darüber hinaus geht. Auch hier ist von Seiten der Politik eine behördenübergreifende Harmonisierung der Cybersecurity geplant. Da viele Low-Code-Softwareunternehmen mit einer hohen Wiederverwendbarkeit der entwickelten Anwendungen werben und dies ohnehin dem Einer-für-Alle-Prinzip (EfA) des Onlinezugangsgesetzes entspricht, sollten die Anwendungen zur Gewährleistung der Datensicherheit einer entsprechenden Prüfung unterzogen werden [1].
Die Potenziale von Low-Code für öffentliche Verwaltungen scheinen bis an dieser Stelle überschaubar. Und auch in der Praxis sind die Argumente für Low-Code ambivalent zu betrachten. Die schnelle, flexible und unkomplizierte – oft als ressourcensparend zusammengefasst - Anwendungskonfiguration wird einstimmig als wichtiger Faktor benannt, um den aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen. Der Anwendungsbereich von Low-Code-Plattformen jedoch beschränkt sich auf einfache Prozesse oder als Ergänzung zu bestehenden Fachverfahren.
Unabhängig von der derzeitigen Verwaltungspraxis können die Potenziale von Low-Code besonders auf konzeptioneller Ebene verortet werden, besonders der meist bei Low-Code integrierte Plattformgedanke, wodurch die verschiedenen Komponenten vernetzt und kombinierbar sind. Passend dazu kann auch der Government-as-a-Platform-Ansatz aufgegriffen werden. Dabei werden die verschiedenen Komponenten über die Kernfunktionen der Plattform verbunden und können dadurch interagieren. Die Betrachtung der Infrastruktur als ein Gewebe aus Plattformkern und der Peripherie erlaubt es, die technische Infrastruktur einer Organisation zu reflektieren: Leerstellen zu identifizieren, Rechte und Regeln zu definieren und Verantwortungen zu verteilen. Da in diesem Konzept nicht nur technische Komponenten, sondern ebenso die beteiligten Akteur:innen berücksichtigt werden, von der Führungsebene über Sachbearbeitung, IT, bis hin zu Dienstleistungsunternehmen, lassen sich digitale Prozesse als eingebettet in ein sozio-technisches System verstehen. Äquivalent vereint auch Low-Code sowohl technische als auch arbeitsorganisatorische Wissenskorpora bzw. Kompetenzfelder.
Zu diesem Zweck wird im Kontext wiederholt das Konzept des Citizen Developments (CD) herangezogen. Losgelöst von Low-Code betrachtet, ermöglicht es, die Akteur:innenperspektive auf der Mikroebene, also der direkten Arbeitsumgebung der Sachbearbeitenden und des IT-Personals, innerhalb digitaler Veränderungen einzufangen. Dabei wurde uns oft von Unsicherheiten gegenüber neuen technischen Systemen, individuellen Kompetenzleveln und Interessen diesbezüglich erzählt. Besonders der CD-Ansatz des Project Management Institutes (PMI), welcher sich vordergründig auf einen hyperagilen Rahmen zur Anwendungsentwicklung stützt, setzt mit seinen kurzen, inkrementellen, die Fachseite integrierenden Entwicklungszyklen sowohl auf eine verbesserte Zusammenarbeit zwischen IT-Abteilung und Sachbearbeitung als auch auf kontrollierte Freiräume für experimentelles Ausprobieren und somit für potenzielle Weiterentwicklung. Die Anwendungsentwicklung innerhalb von Developer Communities oder Competence Center kann somit als Raum für vernetztes Wissen betrachtet werden und darüber hinaus den Kompetenzausbau für Menschen mit geringen IT-Kenntnissen ermöglichen. Dadurch können auch perspektivisch Aufgaben aus der IT in die Sachbearbeitung verlagert werden. Anhand dieser Modelle können Organisationen auch deren Aufteilung in Einheiten und damit verknüpfte Aufgaben- und Verantwortungsbereiche entsprechend neuen Herausforderungen und technischen Möglichkeiten reflektieren und anpassen. Orientierung dafür bietet unter anderem das Maturity-Modell des PMI. Unsere Gespräche haben gezeigt, dass bereits erste Beispiele für neue Entwicklungseinheiten in öffentlichen Verwaltungen nach dem Prinzip des Citizen Development geschaffen wurden. Als vermittelndes Medium wurden Low-Code-Plattformen genutzt.
Das Potenzial von Low-Code wie von Citizen Development liegt demnach vor allem darin, dass Alternativen zu bisherigen Strukturen angeboten werden, sowohl technisch als auch (arbeits-)organisatorisch (siehe hierzu auch [2]). Dies scheint umso wichtiger, da genannte Strukturen derzeit an ihre Grenzen zu stoßen scheinen. Es hat sich jedoch auch deutlich gezeigt, dass es keine Musterlösung geben kann. Vielmehr sind die einzelnen Organisationen, und bei allen Bestrebungen nach bundesweiter Harmonisierung, auch organisationsübergreifend - dazu angehalten, mutig und kreativ nach eigenen passenden Wegen der Veränderung zu suchen, welche sich mit den individuellen Anforderungen und Wünschen decken.