Zum Hauptinhalt springen

Chancen und Risiken

Die bisherigen Kapitel verdeutlichen die Vielseitigkeit im Bereich Low-Code, wodurch der Low-Code-Ansatz für die heterogene Prozesslandschaft von öffentlichen Verwaltungen geeignet scheint (Herr I) [1]. Gleichzeitig wurde gezeigt, dass Low-Code-Plattformen im Verwaltungskontext nicht per se zu befürworten oder abzulehnen sind. Vielmehr entscheiden individuelle Kriterien darüber, ob ein solches System eingeführt wird. Die eine Wunderlösung für alles scheint es demnach nicht zu geben, was jedoch in vielen Fällen nicht angestrebt wird (Herr P). Herr R zeichnete in diesem Kontext das Bild eines etablierten, komplexen Systems als Frachterschiff, welches durch anbindbare Low-Code-Lösungen als Beiboote ergänzt und erweitert werden kann. Die Art des Beiboots hängt dementsprechend von der jeweiligen Anforderung, sinngemäß der zu bewältigenden Strömung ab.

Mit Low-Code scheint es möglich, schnell und flexibel auf die wechselnden Herausforderungen reagieren zu können. Ein Beispiel dafür erfahren wir in unserem Gespräch mit Herrn P. Die dort genutzte Plattform bietet einfach veränderbare Onlinedienste für unterschiedliche Antragsverfahren. Doch auch hier stellt die genutzte Plattform nur einen Bestandteil in einem größeren, modular aufgebauten Systemkomplex dar. Entsprechend hängt dieses Potenzial von der Schnittstellenfähigkeit der genutzten Software ab (Herr P). Andere Plattformlösungen verfolgen einen Ende-zu-Ende-Ansatz und sind nur bedingt interoperabilitätsfähig, wodurch der Einsatz von Low-Code nicht zwingend zur gewünschten digitalen Souveränität führt (Herr F) [2].

Herr M aus Niedersachsen sieht das Festhalten an bestehenden Systemen und den langwierigen, zögerlichen Beschaffungsprozess von neuer Software als einen wichtigen Grund für die von ihm wahrgenommene Unpopularität von Low-Code-Plattformen im öffentlichen Sektor. Doch gerade diesem Vorbehalt gegenüber Neuerungen kann Low-Code durch eine sukzessive Einführung – angefangen bei Kleinstprozessen – und einem dadurch kontrollierbaren Risiko positiv entgegenwirken (Herr N, Herr K). Zudem können die Sachbearbeiter:innen in einem agilen, iterativ gestalteten Entwicklungsprozess frühzeitig in das Entstehen der Anwendung eingreifen, wie dies Herr I aus eigenen Projekten berichtet. Low-Code ermöglicht also eine engere Zusammenarbeit zwischen IT und Fachseite (siehe unten).

Dieser schrittweisen Annäherung an immer komplexere Geschäftsabläufe sind jedoch Grenzen gesetzt. Unsere Gesprächspartner:innen sind sich einig, dass eine Low-Code-Plattform keine Fachverfahren ablösen wird. Dies begründen sie damit, dass Prozesse nur bis zu einem gewissen Komplexitätsgrad durch modular konfigurierbare Anwendungen abbildbar sind (Herr E, Herr F, Herr I). Diese Einschätzung deckt sich mit der wissenschaftlichen Literatur. Woo ergänzt, dass der von der Plattform generierte Quellcode mit steigendem Umfang schwieriger zu verstehen ist [3]. Fehlende Dokumentationen im Code scheinen es im Falle eines Fehlers unmöglich zu machen einzugreifen [4]. Herr O ergänzt diesen Faktor mit der Erfahrung, dass final konfigurierte Low-Code-Anwendungen nur noch schwer an neue Anforderungen anpassbar sind (herstellerabhängig). An dieser Stelle muss infrage gestellt werden, inwieweit Low-Code die Anforderungen aus und an die Verwaltung erfüllen kann: Angesichts der Erkenntnisse aus diesem Kapitel betrifft dies besonders die Architekturrichtlinien, hinsichtlich der Nachvollziehbarkeit sowie einer nachhaltigen und souveränen Digitalisierungsstrategie.

Quellen

[1]
Brueggemeier, M., „Digitale Prozesse“, Handbuch zur Verwaltungsreform, 5., vollständig überarbeitete Auflage, Sylvia Veit, Christoph Reichard, Göttrik Wewer: Wiesbaden, 2019, S. 581–592.
[2]
Sahay, A.; Indamutsa, A.; Di Ruscio, D.; Pierantonio, A., „Supporting the understanding and comparison of low-code development platforms“, 2020 46th Euromicro Conference on Software Engineering and Advanced Applications (SEAA), IEEE, 2021, S. 171–178. https://doi.org/10.1109/SEAA51224.2020.00036.
[3]
Woo, M., „The Rise of No/Low Code Software Development—No Experience Needed?“, Engineering (2020), no. 6, S. 960–961.
[4]
Lethbridge, T. C., „Low-Code Is Often High-Code, So We Must Design Low-Code Platforms to Enable Proper Software Engineering“ in Leveraging Applications of Formal Methods, Verification and Validation 10th International Symposium on Leveraging Applications of Formal Methods, ISoLA 2021 Rhodes, Greece (Bernhard Steffen Tiziana Margaria, hrsg.), Cham, 2021, S. 202–212.